Informationen über Bio-Lebensmittel und Naturkost
Interview im WDR5 Morgenecho mit Naturland-Geschäftsführer Gerald Herrmann am 28.05.2002
Vertuschte "Naturland" Skandal um Gift-Funde in Ökoprodukten?
Moderator: Wer hat seit wann wovon gewusst und nichts gesagt? Wann zum Beispiel war einer der größten deutschen Öko-Landbauverbände, der Verband "Naturland", informiert? Diese Frage geht an den Verbandsgeschäftsführer Gerald Herrmann.
Herrmann: Entgegen der Meldung auch des niedersächsischen Landwirtschaftsministers, dass wir bereits im Dezember informiert waren, war "Naturland" erst Anfang April informiert über Messungen, die in einem großen Lebensmittelverarbeiter Nitrofen im Januar gefunden haben.
M: Also in dem Betrieb wurde das Ende Januar gefunden. Der Betrieb hat Ihren Verband hat also nicht informiert?
Herrmann: Dieser Betrieb ist unserem Verband nicht angeschlossen. Das ist ein großer Lebensmittelverarbeiter, der ja auch jetzt durch die Presse gegangen ist, der in seiner hervorragenden Qualitätssicherung im Haus, seine private Qualitätssicherung, überhaupt erst diesen Rückstand an Nitrofen hat entdecken können, weil die normalen Labors ja überhaupt nicht mehr auf Nitrofen untersuchen.
M: Was hat Ihr Verband dann getan, nachdem Sie es wussten?
H: Wir haben uns vergewissert, dass die Behörden informiert sind. Und wir haben erfahren, dass am 28. 3., die Landesbehörde in Brandenburg, die für die Aufsicht über die EU-Betriebe verantwortlich ist, eingeschaltet war. Daraufhin haben wir keine Veranlassung gesehen, weitere Behörden einzuschalten, weil ja dann normalerweise die Verwaltungsgänge klar sind. Und wir sind dann auf die Unternehmen zugegangen, die unserem Verband angeschlossen sind - den Futtermittelverarbeiter, den Legehennenbetrieb und den Geflügelmäster -, und haben versucht zu recherchieren, warum uns diese Betriebe nicht informiert haben, haben die Hintergründe recherchiert, so dass wir dann Mitte bis Ende April einen guten Überblick über die Situation hatten. Zu diesem Zeitpunkt ist uns nach den vorliegenden Informationen versichert worden, dass mögliche belastete Partien bereits zurückgezogen waren vom Markt, so dass wir davon ausgehen konnten, dass keine Gefährdung für den Verbraucher vorliegt.
M: Warum haben Sie die Öffentlichkeit nicht sofort Anfang April, nachdem Sie es erfuhren, informiert?
H: Weil wir der Meinung sind, dass der Informationspflicht durch die EU-Kontrollstellen, die hier zuständig sind, Genüge geleistet war. Es war überhaupt gar keine Gefahr im Verzug für den Verbraucher. Und wir haben bis heute nicht die Originaluntersuchung des Lebensmittelverarbeiters vorliegen. Es heißt, die Behörden waren informiert. Und "Naturland" als privater Zertifizierer hat keinen Grund darin gesehen, jetzt mit einer Meldung an die Öffentlichkeit zu gehen oder an die Behörden zu gehen, die bereits den Behörden bekannt war.
M: Also Herr Herrmann, wollen Sie wirklich sagen, Ihr Verband habe nicht überblickt, was in Zeiten, in denen schlimmste Lebensmittelskandale noch gar nicht so lange her sind, passieren muss, wenn man solche Informationen nicht sofort veröffentlicht?
H: Ich möchte es noch mal betonen: Wir können nicht davon ausgehen, dass immer und überall klar ist, wie die Vorgänge sind und was passiert. Zu dem Zeitpunkt, als wir informiert worden sind, waren die Behörden informiert. Und es ist Pflicht der Behörden, an die Öffentlichkeit zu gehen. Wir haben eine - -
M: Das ist sehr formalistisch.
H: Das ist nicht sehr formalistisch. Das ist einfach der normale Weg, der gegangen werden muss. Wir können nicht - und das ist auch eine Vorsorge, die wir treffen müssen - mit Halbinformationen, die uns vorliegen - und zu diesem Zeitpunkt haben uns, das sage ich noch mal, ausschließlich Gerüchte vorgelegen, die wir erst haben recherchieren müssen -, an die Öffentlichkeit gehen und dann womöglich einen Skandal auslösen, der überhaupt nichts mit einer tatsächlichen Belastung zu tun hat. Ich möchte noch mal sagen, dass die Belastungen, über die wir momentan reden, in Eiern, die dann vom Markt genommen worden sind, nichts mit dem Fall von Anfang Januar zu tun haben, sondern es ist eine neuerliche Belastung im Mai aufgetreten. Und diese ist entdeckt worden durch die Qualitätssicherungsmaßnahmen, die die Verarbeiter eingerichtet haben auch auf unser Drängen hin. Und daraufhin haben wir, als wir am 16. Mai das erste Mal über Verdacht informiert worden waren, am 21. Mai harte Fakten auf dem Tisch hatten, am 23. Mai das Bundesministerium und die Länderministerien und die Öffentlichkeit informiert. Insofern bin ich der Meinung, dass wir unserer Pflicht nachgekommen sind, bei dem tatsächlichen Fall, der uns jetzt im Mai bekannt geworden ist, entsprechend zu handeln. Und ich möchte noch mal betonen: Es waren nicht die Behörden in Brandenburg, es waren nicht irgendwelche staatlichen Stellen, sondern es war "Naturland", der jetzt im Mai die Öffentlichkeit informiert hat und die Behörden informiert hat. Und insofern lasse ich diesen Vorwurf, den auch der Landwirtschaftsminister in Niedersachsen äußert, um von eigenen Versäumnissen abzulenken, "Naturland" hätte hier nicht rechtzeitig und verantwortungsvoll gehandelt, den weise ich sehr scharf von mir.
M: Entscheidend ist aber: Es sieht so aus, dass der Imageschaden für den gesamten ökologischen Landbau schon jetzt sehr groß ist.
H: Da gebe ich Ihnen absolut Recht. Und das ist natürlich ein Riesenproblem für uns alle. Ich möchte aber da betonen: Ökolandbau - und das haben ja auch die Kunden in Ihrem Beitrag gesagt -, wir leben in einer Landwirtschaft, in einer Gesellschaft, in der der Chemieeinsatz nach wie vor sanktioniert ist. Es werden auch heute neue Pestizide für die Landwirtschaft zugelassen. Und der Ökolandbau ist die einzige Form der Landwirtschaft, die aktiv auf den Einsatz von Pestiziden, leicht löslichen Mineraldüngern und Gentechnik verzichtet. Das ist die Sicherheit, die wir bieten können. Wir können aber keinen kompletten hundertprozentigen Schutz vor ubiquitären Rückständen, vor Betrug oder sonst irgend etwas bieten. Wir können nur versuchen, das Maximum zu machen. Und insofern, wie die eine Kundin gesagt hat, ist nach wie vor einfach der Ökolandbau die beste Alternative.
Quelle: www.wdr.de