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FAQ: Das EG-Kontroll-System

Mitschrift eines Interviews von ca. 1997

Was bedeutet eigentlich "kontrolliert" biologisch?
Jemand, der behauptet, mit Bio-Waren gewerblich zu handeln, sie herzustellen, zu im- oder exportieren, muss sich entsprechend kontrollieren lassen, ob das auch stimmt.

Wer kontrolliert das denn?
Institutionen und Kontroll-Firmen, die ein spezielles Genehmigungs-Verfahren durchlaufen haben und von der EG dafür zugelassen sind.

Wieso EG? Regeln das nicht die Verbände wie Bioland oder Demeter?
Das war früher, vor 1992. Da war der gängige Begriff "anerkannt ökologischer Landbau". Anerkannt aber nur von der AGÖL, der Arbeitsgemeinschaft ökologischer Landbau, in der alle Anbauverbände zusammengeschlossen sind. Dieser Begriff war aber nicht geschützt. Wer wollte, konnte sich an die Strasse stellen und konventionelles Gemüse als Bio-Gemüse verkaufen. Er riskierte schlimmstenfalls, angemeckert zu werden. Juristisch war da nix zu machen.
Die Verbände konnten nur ihre Mitglieder kontrollieren und ihr Warenzeichen schützen. Sonst nix.

Und das ist jetzt anders?
Sehr anders! 1992 erliess die EG die sogenannte "Bio-Richtlinie" (Nr. 2092/92). Darin ist haarklein geregelt, welche Voraussetzungen jemand erfüllen muss, um auf seinen Produkten oder in der Werbung Begriffe wie "BIO", "Öko", oder "aus kontrolliert ökologischem Anbau" zu verwenden. Vor allem muss das von einer der o.e. Kontrollstellen überprüft werden.
Da gab es auch prompt ein blödes Problem: Die Mitglieder der Verbände unterlagen dadurch plötzlich zwei Kontrollen, die beide bezahlt werden mussten: Einmal nach Verbandsrichtlinien, ein zweites Mal nach EG-Richtlinien. Die meisten Verbände haben das jetzt so geregelt, dass sie die Kontrolle an Firmen abgegeben haben, die nach EG-Richtlinie kontrollieren. Dadurch fallen Gebühren nur einmal an.

Und das geht? Sind das denn nicht unterschiedliche Richtlinien?
Schon. Aber die Richtlinien der Anbauverbände sind strenger als die EG-Richtlinien. Zum Teil erheblich strenger. Wer also bei einer Kontrolle z.B. Bioland-Richtlinien erfüllt, hat mit Sicherheit keine Probleme mit der EG-Norm. Das ist dann nur noch zusätzlicher Papierkram.

Was ist denn Unterschied zwischen den Normen?
Einige. Das ist auch von Verband zu Verband unterschiedlich. Die EG-Richtlinie erlaubt zum Beispiel, dass ein Betrieb nur teilweise auf Bio umstellt. Meinetwegen von 100 ha nur 20. Oder von 50 Milchkühen nur 10. Das ist den Verbänden suspekt. Das erlaubt, soviel ich weiss, niemand bei denen. Zu Recht, wie ich finde. Da sind Manipulationen Tür und Tor geöffnet. Zumindest ist das viel schwerer zu kontrollieren.

Dann taugt die EG-Richtlinie nicht allzuviel?
Nee, das kann man so nicht sagen. Wir müssen überhaupt froh sein, dass das endlich gesetzlich geregelt wurde. Und das dann auch EG-weit, d.h. es gilt auch für ausländische Ware - sowohl die aus der EG, als auch für Waren, die aus der ganzen Welt in die EG importiert werden. Da konnte einigen Schmutzbuckeln das Handwerk gelegt werden. Insofern ist das schon sehr nützlich.
Andererseits ist die EG-Richtlinie lascher als die Verbandsrichtlinien. Wer also die Wahl zwischen EG-Ware und Bioland-, Demeter- oder sonstigen Produkten hat, sollte zu letzteren greifen. Bioland hat da auch was zu gesagt.

Was verkauft Ihr?
Am liebsten Ware von regionalen ErzeugerInnen aus AGÖL-Verbänden natürlich. Das geht nur nicht immer. Wenn wir das nicht kriegen, müssen wir auch "EG-Bio"-Ware akzeptieren.

Und Ihr werdet auch seit 1992 kontrolliert?
Nee. Da gibt's ne ziemlich merkwürdige Lücke im Gesetz:
Alle, vom Bauern über Exporteure, Importeure, Grosshändler, Verarbeiter usw. müssen sich kontrollieren lassen - nur wir Einzelhändler nicht. Das fanden wir irgendwann auch ziemlich eigenartig und haben uns freiwillig zur Kontrolle gemeldet. Das war aber gar nicht so einfach.

Wieso das? Ich denke, Ihr müsst das doch bezahlen?
Das schon. Aber darum ging es erstmal nicht. Es gibt ja keine Richtlinien für Einzelhändler. Die haben auf hunderten von Seiten aufgelistet, was auf dem Acker und in der Scheune oder in den Kühlhäusern oder in den Rezepten der Verarbeiter zu kontrollieren ist. Aber das haben wir ja alles nicht.

Denen war nicht klar, was sie kontrollieren sollten?
Genau. Die wollten erst auch gar nicht. Das war schon komisch. Die haben immer gesagt: "Aber Sie müssen das doch gar nicht." Dann habe ich immer gesagt: "Ich will aber!" Dann kam wieder das Argument mit den fehlenden Richtlinien. Irgendwann wurde ich dann sauer, und habe gefragt, wieso sie denn in der Lage sind, einen Hofladen eines Erzeugers zu kontrollieren, der ja auch handelt, aber einen Handel ohne Erzeuger nicht.
Dann ging's plötzlich.

Und wer macht das jetzt?
Die Fa. Alicon, die auch die Kontrollen für Bioland macht.

Also seit Ihr jetzt Bioland-Betrieb.
Nein. Das nicht. Bioland hatte sich damals noch keine Gedanken über Kontrollen bei Einzelhändlern gemacht. Also kontrolliert uns Alicon nur gemäss EG-Richtlinie. Bei Bioland sind wir nur Fördermitglied, weil wir keine Bauern sind.

Darf ich fragen, was die Kontrolle kostet?
Klar. 500 Mark und nen paar Zerquetschte.

Und was machen die dann bei Euch?
Das habe ich mich vor der ersten Kontrolle auch gefragt. Ich fand das ziemlich spannend. Ich hatte ja nix zu befürchten. Die EG-Richtlinien erfüllen wir ja locker. Was sollte es da zu suchen und zu finden geben?
Da kam ein Mensch, der in Hessen einen grossen Bioladen führt und zusätzlich eine Ausbildung als Kontrolleur hat. Der durchstöberte den ganzen Marktstand und stellte ein paar ziemlich scharfe Fragen. Die konnte ich locker beantworten. Dann nahm der sich die Preisschilder und die Kisten vor. Sogar die leeren Gemüsekisten hat er sich angeguckt. Und immer wieder gefragt.
Nach ner halben Stunde wusste er ungefähr, mit wem er es zu tun hat, und wurde etwas zugänglicher. Dann hat er noch die Buchhaltung durchgewühlt. Im Büro kamen dann Fragen, da habe ich schon gestaunt. Ich denke: Wenn wir irgendwas getrickst hätten, das hätte der uns nicht in fünf Minuten bewiesen, aber der hätte das gerochen. Der Mann hat wirklich Ahnung.

Ja und? Was macht der denn, wenn's komisch riecht?
Dann hätte der genauer gesucht. Und wäre unangemeldet wiedergekommen. Auch mehrmals. Ich habe inzwischen erfahren, dass so schon einige rausgefiltert wurden.

Und wie oft kommt der normalerweise?
Einmal im Jahr.

Und das reicht?
Bei uns schon. Wenn Kontrolleure öfter auftauchen, stimmt was mit dem Betrieb nicht.

Hatte der Entschluss, sich kontrollieren zu lassen, denn für Euch irgendwelche Konsequenzen?
Nein. Warum auch?

Na, dass Ihr irgendwas nicht mehr verkaufen dürft?
Nein. Wir hatten ja von Anfang an nur Bio-Ware. Wir mussten nichts umstellen. Wir haben früher ab und zu Obst aus privaten Gärten verkauft. Aber nur, wenn wir Leute und Garten kannten. Das haben wir sozusagen selber kontrolliert und auch entsprechend ausgezeichnet. Nicht als "Bio", sondern "aus privatem Garten". Aber das machen wir schon lange nicht mehr.
Das komische dabei ist: Wir dürften gemäss EG-Richtlinie sogar konventionelle Ware verkaufen, solange wir nicht "Bio" dranschreiben. Machen wir aber nicht.

Aber Ihr habt doch auch Wasser und Salz und sowas. Da ist doch nix mit "Bio"?!
Ach, das meinst Du. Nee, das ist zulässig. Das sind Artikel, die unter "naturbelassen" oder "frei von Zusatzstoffen" fallen. Salz und Wasser werden nunmal nicht "angebaut". Diese Artikel sind im gesamten Naturkosthandel üblich und zugelassen. Egal, nach welcher Norm.
Komplizierter ist es mit Honig. Das ist ja ein tierisches Produkt, von Bienen produziert. Die EG-Richtlinie erfasst aber nur pflanzliche Produkte. Eine weitere für tierische Produkte ist fast fertig. Das dauert aber noch, bis die umgesetzt wird. Solange gibt es nur Bio-Honig von Imkern, die in einem der Anbauverbände organisiert sind. Und die sind selten. Die meisten Honige, die wir führen, sind also sozusagen "naturbelassen". Nur wenige sind Bio-Honig. Die Qualität ist aber vergleichbar. Wenn die Richtlinie durch ist, werden die meisten anderen auch als "Bio-Honig" zertifiziert werden.
(Nachtrag: Diese Richtlinie seit August 2000 in Kraft. Der Anteil von Nicht-Bio-Honig im Naturkosthandel sank und ist inzwischen (2005) verschwunden.)

Und dieses ganze Kontrollsystem gilt weltweit? Auch für dominikanische Bananen und australische Äpfel?
Ja. Sobald diese Waren in die EG importiert werden.
Das ist ja das Blöde: Viele Leute denken, "Bio" kann nur vom Bauern nebenan kommen. Warum eigentlich? Ich habe keinen Grund, einem spanischen Bauern mehr zu vertrauen oder zu misstrauen als einem rheinischen oder bayrischen. Die Kontrolle ist entscheidend.
Ausserdem ist der Bio-Anbau keine deutsche Erfindung. Die Demeter-Bewegung z.B. hat ihre Wurzeln in der Schweiz. Es gibt Länder, in denen wurde sich viel früher schon Gedanken über Kontrollsysteme gemacht. Die Holländer haben dafür schon in den siebziger Jahren eine staatliche Stiftung eingesetzt. Ausgerechnet die Holländer, deren Gemüse einen so miserablen Ruf hat!

Aber doch zu Recht...?!
Nein! Warum denn? Qualität ist doch keine Frage des Herkunftslandes oder der Region! Das ist eine Frage der Arbeitsweise! Der Anbaumethode!
In Holland gibt es vergleichsweise mehr Bio-Bauern als bei uns. Und das schon lange. Pfuscher gibt es überall, gute Leute auch. Das hat mit Ländern nix zu tun.

Ihr führt also auch holländische Ware.
Holländische Bio-Ware, ja. Sonst nix. Andre Vollenberg aus Gubbenvorst bei Venlo macht beispielsweise wunderbare Hokkaido-Kürbisse und sehr guten Spargel. Was kann der Spargel dafür, dass da ne Grenze zwischen ist?
Seh das doch auch mal vom ökologischen Standpunkt! Was sollen wir Gemüse aus Bayern über hunderte von Kilometern rankarren, wenn es fünfzig Kilometer von hier genauso gutes gibt?
Was interessiert mich die Grenze dazwischen?


Nachtrag: Seit 01.01.2002 werden wir auf eigenen Wunsch nicht mehr gemäss EG-Bio-Verordnung kontrolliert. Das hat nichts mit Kritik am Kontrollsystem, der Fa. Alicon, oder deren Kontrolleuren zu tun. Im Gegenteil: Die Kontrolleure waren bei uns gern gesehene Gäste. Wir freuten uns immer auf die Fachsimpeleien mit diesen Fachleuten.

In letzter Zeit drängen immer mehr konventionelle Firmen mit Billigware auf den Markt für Bio-Produkte. Wir können uns diesem Preiskampf nur dann stellen, wenn wir alle Kosten, die andere Anbieter nicht haben, reduzieren. Dazu gehört auch die "freiwillige" EG-Bio-Kontrolle. Wir sind weiterhin der Meinung, dass auch der Einzelhandel einer Kontrollpflicht unterliegen sollte. Hoffentlich wird dies irgendwann der Fall sein.


Nachtrag: Am 16.11.2002 haben wir den Handel mit Bio-Lebensmitteln eingestellt. Die Gründe.