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Reisebericht Dominikanische Republik
Entwicklungshilfe vor Ort: Las Laguneritas
"OK. Ich komme am Montag zu Euch. Aber damit das klar ist: Wenn Eure Frauen wieder nicht dabei sind, fahre ich sofort wieder." Mit diesen markigen Worten bekräftigt Petra Schnadt, Organisations-Beraterin der GTZ in San Jose de Ocoa, die Verabredung mit den Bewohnern von Las Lagunerita, einem Dorf in der Nähe. Sie lächelt zwar dabei, aber der Alcalde (Bürgermeister) versteht, dass sie es ernst meint. Er nickt bedächtig und verabschiedet sich.
Diese Haltung hat Petra Schnadt den Respekt der Dörfler und die Anerkennung der Frauen eingebracht. "Das ist hier eine Macho-Gesellschaft", sagt sie, "Dagegen muss ich täglich ankämpfen. Was hilft es denn, wenn ich mit den Männern die dollsten Massnahmen entwickle und finanziere, wenn die hinterher nicht funktionieren, weil die Situation der Frauen nicht berücksichtigt wurde?"
Die Diplomvolkswirtin hat sich schon vor Jahren auf den
Agrar-Bereich spezialisiert. 1997 kam sie nach Ocoa und
bezog ihr Büro im ADESCO-Haus.
Sie legt auch gesteigerten Wert auf Förderung der
Eigeninitiative. "Mit einer zerstrittenen Dorfgemeinschaft
kann ich nichts erreichen. Wenn die sich aber
zusammensetzen, ihre Situation analysieren, und mir
erklären, was sie machen wollen, und was sie dafür
brauchen, da kann ich ansetzen."
Infrastrukturmassnahmen wie Wasserleitungen werden bezuschusst, Investitionen in Betriebsmittel mit Krediten finanziert. "Die Kombination Kredit und Beratung ist die erfolgreichste Komponete bei unserer Arbeit."
Wie wird denn der Erfolg der Entwicklungshilfe gemessen? In km Strasse, in der Steigerung des Durchschnittseinkommens? "Das sind alles Zahlen, die wenig über die Nachhaltigkeit der Massnahmen aussagen. Was passiert denn, wenn die Berater, die Organisationen, nach Abschluss der Projekte gehen?" fragt Petra Schnadt zurück. "Ich bewerte meine Arbeit als erfolgreich, wenn die Dorfbewohner lernen, ihre Situation realistisch einzuschätzen. Wenn sie kleine Projekte in ihrem System, ihrem Dorf, eigenständig planen und durchführen."
Solche Projekte fördert Petra Schnadt am liebsten, weil sie weiss, dass diese nicht nur kurzfristigem Denken entspringen, und sich auch veränderten Marktbedingungen anpassen können.
Nun ist doch San Jose de Ocoa ein Musterbeispiel für jahrzehntelange Entwicklungshilfe mit Beteiligung der Bevölkerung. Warum ist die Situation denn immer noch so schwierig?
Petra Schnadt nennt gleich mehrere Gründe: "Es gibt Sachen, auf die hat Entwicklungshilfe nun wirklich keinen Einfluss. Wenn das in jahrelanger Arbeit aufgebaute Wasserleitungssystem nach einem Hurricane zu 50% schlicht im Meer landet, da fängst Du in dem Punkt wieder bei Null an."
Auch die Besitzverhältnisse beim Ackerland hemmen die Entwicklung. Nach Ende der Trujillo-Diktatur und dem Niedergang der staatlichen Zuckerindustrie in den 60ern wurde eine Landreform beschlossen, die die Flächen der riesigen Zuckerrohrplantagen unter den Kleinbauern verteilen sollte.
Die Umsetzung ist bis heute nicht abgeschlossen. So sind viele gute, brachliegende Ackerflächen den Bauern entweder nicht zugänglich, oder sie haben keinen gesicherten Besitztitel darauf, bekommen also auch keine Kredite für deren Bewirtschaftung.
"Ausserdem", zählt Petra Schnadt weiter auf, "wird hier immer noch viel zu viel angefangen, ohne zu beenden. Die hohe Spezialisierung der Berater verhindert oft langfristige Entwicklung. Wenn ein kompetenter Agrarberater, der die Ackerflächen und Kulturen sehr gut beurteilen kann, den Bauern sagt, pflanzt dies oder nicht, spritzt dies oder nicht, dann machen die das eben oder nicht."
Petra Schnadt verbindet drei Ebenen: "Einmal ist da die Produktions-Ebene. Wieviel Land in welcher Qualität hat der Bauer wo? Dann gibt es die Haushaltsebene. Wie gross ist die Familie? Welche Einkommensquellen hat sie? Viele arbeiten zusätzlich woanders. Und ausserdem, ganz wichtig, die Dorf-Ebene. Welche Strukturen der Zusammenarbeit sind denn vorhanden?"
Im Bezirk Ocoa gab es mal einen Berater, der entwickelte einen Muster-Betrieb, wie er hier funktionieren sollte. Der sah nur den Acker, und sonst nix. Der Betrieb war auch mustergütig. Bis der Berater wieder ging. Jetzt ist der Betrieb verwaist.
Was Petra Schnadt mit der Einbeziehung dieser drei Ebenen meint, wird beim Besuch von Las Lagunarita deutlich. Routiniert, fast nebenbei, lenkt sie ihr Allrad-Auto über eine vom tropischen Regenguss frisch verschlammte Strasse, die bei uns unter die Kategorie "wenig benutzter, ungepflegter Feldweg" fiele.
Ein paar Kilometer weiter liegen einige Hütten und Steinhäuser in der Landschaft verstreut. Das ist das Dorf. Auf freiem Acker sind ein paar dünne Baumstämme in die Erde gerammt, darauf ein Dachlattensystem, mit Wellblech gedeckt. Keine Wände. Daneben weht die Dominikanische Flagge. Das ist die Schule, wie sie hier üblich ist.
Ein Dutzend Bauern, ein Rudel Kinder und immerhin drei Frauen erwarten uns. Die Stühle der Schule, an denen kleine Schreibflächen befestigt sind, stehen im Kreis. Petra Schnadt begrüsst die Dorfversammlung. Ricardo, einheimischer Berater, berühmt-berüchtigt ob seines Humors, sorgt fuer die ersten Lacher. Die Lehrerin sagt noch ein paar Worte, dann geht's los:
"So! Jetzt machen wir erst einmal eine Karte vom Dorf!" sagt Petra Schnadt. Die lärmende Kinderschar wird mit Steine- und Blättersammeln beschäftigt. Petra Schnadt drückt jemandem einen Stock in die Hand, er soll auf der Erde die Wege im Dorf aufzeichnen. Das klappt nicht. Ein anderer nimmt den Stock. Im dritten Anlauf entsteht der erste "Stadtplan" in der Geschichte des Dorfes.
Plötzlich sind alle Dörfler eifrig bei der Sache. Sie korrigieren noch hier und da, die Wege werden mit Sägemehl markiert. Petra Schnadt verteilt Pappschilder und fordert die Leute auf, ihren Namen draufzuschreiben und die Schilder an ihrem Wohnort auf dem Plan aufzustellen.
Das macht die Sache noch interessanter: Diejenigen, die schreiben können, haben die Chance, es vorzuführen. Petra Schnadt grinst: "So kriege ich schnell die Alphabetisierungsrate heraus."
Die Kinder stützen die Pappschilder mit Steinen. "Wer hat denn hier wieviel Land und wo?" fragt Petra Schnadt. Mit Blättern werden die Felder markiert, auf Schildchen steht die Fläche.
"Und welche Landbesitzer wohnen nicht hier?" Es zeigt
sich das übliche Bild: Die meisten Einwohner wirtschaften
auf lächerlich kleinen Flächen. Aber mittendrin im Dorf
liegen etwa 5 ha bester Boden, der Besitzer wohnt in der
Hauptstadt, keiner kennt ihn.
Das Land liegt brach. Laut Gesetz muss es eingezäunt sein,
was zur Folge hat, dass alle umständlich drumherumlaufen
müssen, um zum anderen Ende des Dorfes zu kommen.
Weitere Fragen, weitere Kärtchen. Inzwischen sind fast alle Dorfbewohner eingetrudelt. Alle finden ihre Karte sehr spannend und machen intensiv mit. Es stellt sich heraus: Es gibt erheblich weniger Analphabeten als im Bezirksdurchschnitt, aber auch deutlich weniger Latrinen als üblich. Das Dorf hat ein sehr gutes Bewässerungssystem für die Felder, aber nur drei Wasserhähne für Trinkwasser. "Das bedeutet täglich etwa eine Stunde Kanisterschleppen für die Frauen." erklärt Petra Schnadt.
Sie fotografiert die Karte. Ricardo und die Lehrerin machen Notizen. Die Dörfler stehen im Kreis und bewundern ihr Werk. Zwei Stunden sind vergangen. In dieser Zeit entstanden die ersten Überlegungen, was eigentlich getan werden muss, um hier so etwas wie Entwicklung in Gang zu setzen.
Die Dörfler werden Prioritäten setzen und Kommissionen bilden. Die Frauen werden ihre Männer unter Druck setzen. Es wird lange diskutiert werden, wer wann wem wobei helfen wird. Vermarktungsmöglichkeiten sind zu prüfen.
Gemeinsam werden dann irgendwann Förderanträge formuliert, begründet und bei der ADESJO vergetragen werden.
Der geneigten Leserschaft sei empfohlen, sich den Dorfnamen "Las Laguneritas" zu merken. Dass die Gemüsekiste den Bau einer Schule aus Stein wieder mit einer Sammlung unterstützen wird, ist sicher.